Die zwei vorangegangene Prozesstage sind ausgefallen: Erst fehlte ein Verteidigergespann wegen Krankheit, dann verletzte sich ein Angeklagter beim Fussballspielen. Heut geht es wieder weiter. Drei Polizeibeamte werden als Zeug*innen gehört. Zwei berichten vom Geschehen am 14. September 2018 auf der Schloßteichinsel. Die dritte Beamtin war mit der Auswertung von Asservaten, insbesondere Smartphones, betraut. Sie gibt einen ersten Überblick, wird aber zu einem späteren Zeitpunkt erneut geladen.
Der heutige Verhandlungstag beginnt zunächst mit der Verkündung eines Gerichtsbeschlusses. Der Senat lehnt die von der Verteidigung Sven We. beantragte Aussetzung des Verfahrens ab. Die unvollständige Akte sei Folge eines
Missverständnisses. Jedoch bestehe noch ausreichend Zeit diesen Fehler zu beheben, ohne dass dadurch Nachteile für die Verteidigung entstünden.
Anschließend legt die Verteidigung Sven We. einen Antrag auf Aussetzung des Selbstleseverfahrens, sowie einen Antrag auf ein psychiatrisch-forensisches Gutachten, um so die Verhandlungs- und Schuldfähigkeit ihres Mandanten zu beurteilen. Es hätte sich gezeigt, dass ihr Mandant oft nach zwei oder drei Stunden „nicht mehr aufnahmefähig“ sei. Sie verweisen auf eine diagnostizierte Lese-Recht-Schreibschwäche, sowie die Abhängigkeit von Alkohol und Crystal Meth in früheren Jahren. Deswegen müsse geklärt werden, ob ihr Mandant der Verhandlung folgen könne und ggf. wie lange, ohne dass „schwerwiegenden Schäden für seine Gesundheit“ entstehen.
Der Vorsitzende Richter moniert, dass dieser Antrag erst vier Wochen nach Beginn der Hauptverhandlung gestellt wird. Hier wäre eine frühere Rückmeldung an das Gericht nötig gewesen. Die Bundesanwaltschaft ergänzt, dass man Sven We. ggf. einen Sozialarbeiter zur Seite stellen könne, der beim Aktenstudium unterstützen könne. Gegen die fachpsychologische Begutachtung werde sich die Bundesanwaltschaft nicht stellen. Man behalte sich jedoch vor, „notfalls“, die Abtrennung des Verfahrens anzustreben. Das gebiete der Beschleunigungsgrundsatz für die anderen sieben Angeklagten. Einen Anlass für die gleichfalls beantragte Unterbrechung des Verfahrens sieht das Gericht jedoch vorerst nicht. Auf Nachfrage des Vorsitzenden bestätigt Sven We., dass er fähig ist der Verhandlung zu folgen.
Dann folgt die Vernehmung des ersten
Zeugen. Der Polizeibeamte U. war am 14. September 2019 gemeinsam mit
seiner Streifenpartnerin als einer der ersten auf der Schloßteichinsel.
Er berichtet, dass sie ursprünglich vom Stadtordnungsdienst gerufen
worden seien, wegen eines möglichen Betäubungsmittel-Delikts von
Jugendlichen. Kurz nachdem U. auf der Schlossteichinsel eintraf, hätten
„zwei, drei Jugendliche“ an die Scheibe geklopft und gesagt, es würden
Leute gejagt. Der Zeuge sei dann mit seiner Kollegin in die angezeigte
Richtung gefahren und schnell auf zwei oder drei Geschädigte gestoßen.
Die Situation sei auch wegen der vielen Leute von Hektik geprägt
gewesen. Einer aus der Gruppe, ein Mann im T-Shirt, habe „Blut, viel
Blut“ am Unterarm gehabt. Eine Wunde habe U. jedoch nicht erkennen
können. Der Mann und seine Begleiter hätten in die Richtung der Täter
gezeigt, woraufhin U. weiter „Richtung Hartmannstraße“ gefahren sei.
Dort
hätten sie auf der Brücke zur Schlossteichinsel eine Gruppe von Männern
gesehen, „ca. acht bis neun“ an der Zahl, „die sich lautstark
artikuliert“ hätten. U. und seine Kollegin wollten die Gruppe zum
Anhalten aufzufordern, man sei aber nur zu zweit gewesen. Wenige
Augenblicke später habe die anrückende Bereitschaftspolizei aber bereits
die Brücke zur Erich-Schmitt-Straße „zu gemacht“. Die Geschädigten
seien in der Zwischenzeit hinterhergekommen und hätten sich im Rücken
von U. befunden. In dieser Situation habe es „lautere
Auseinandersetzungen“ gegeben: Die mutmaßlichen Angreifer sollen, so der
Zeuge, in Richtung der Geschädigten geschimpft haben.
U. gibt an, die Person mit dem Blut am Unterarm angesprochen zu haben: Sie habe erklärt, dass er mit seinen Freunden angegriffen wurde. U. habe außerdem einen Rettungswagen verständigt. Später, „das war ein Zugeständnis von uns“, sei man mit einem der mutmaßlichen Angreifer noch eine Runde über die Schloßteichinsel gelaufen, weil dieser angab sein Portmonee verloren zu haben. Dabei habe man aber nicht miteinander gesprochen, versichert der Beamte. Und auch das Portmonee hätten sie nicht gefunden. Es sei aber vor der Überführung des Beschuldigten ins Revier wohl wieder aufgetaucht.
Als zweites wird der Polizeibeamte Jan P. von der Bereitschaftspolizei Chemnitz vernommen. Er berichtet, dass er und seine Kräfte am 14. September 2018 wegen einer Demonstrationslage in Chemnitz eingesetzt waren. Er habe den Funk der Polizeiführung mitgehört und so vom Notruf auf der Schlossteichinsel erfahren. P. habe daraufhin seine Kräfte sofort losgeschickt, die bis dahin an der Theaterstraße standen. Das sei um 21:13 Uhr gewesen, die Zeit habe er sich notiert, weil er nicht erst einen Einsatzbefehl abgewartet habe.
Man habe die Schlossteichinsel von zwei Seiten angefahren, das Sondersignal habe man frühzeitig ausgemacht, es dürfte aufgrund der abendlichen Ruhe aber dennoch gut zu hören gewesen sein. Ein Teil der Kräfte sei über die Erich-Schmitt-Straße gefahren und habe die Brücke dichtgemacht, P. selbst sei mit dem anderen Teil vom Schlossberg aus auf die Insel gelaufen, „zu Fuß“, weil an dieser Stelle Poller den Weg für Autos versperren. Bereits um 21:18 Uhr habe bereits an die Einsatzleitung gemeldet, dass sie vor Ort sind und Personen angetroffen haben. Bei Eintreffen der Beamten auf der Erich-Schmitt-Straße seien zwei Personen geflüchtet. Seine Beamten hätten ihm aber berichtet, dass beide verfolgt und kurze Zeit später gestellt und zurückgebracht werden konnten.
Die Situation an der Brücke sei „unübersichtlich“ und „laut“ gewesen, so P. weiter. Es sei schwierig gewesen „Ruhe reinzubringen“. Man habe die verschiedenen Gruppierungen erstmal trennen müssen. Man habe angefragt, wer verletzt ist, es habe sich nur eine Person mit einer Kopfverletzung gemeldet. An eine Armverletzung könne sich P. nicht erinnern. Über den Hergang der Verletzung weiß P. nichts zu berichten.
Vor der Mittagspause weist der Senat die Widersprüche der Verteidigung Sven W. und der Verteidigung Sten E. gegen das Selbstleseverfahren zurück. Sven W. sei kein Analphabet, ihm wird aber eine Person zum Vorlesen der Akten beiseite gestellt. Bei Sten E. gäbe es zwar eine Lernschwäche, lesen könne er aber normal. Die „kaum 100 Seiten“ Chatprotokolle könne er lesen, so der Vorsitzende Richter. Und weiter: „Wir wollen mal klarstellen, dass sie nicht gänzlich blöde sind.“ Abgelehnt werden auch Anträge auf eine Zeugenvernehmung des ermittelnden Staatsanwalts, sowie die Einvernahme des JVA-Leiters von Zwickau. Dass der Angeklagte Christian K. dort in Haft sitzt, gehe auch aus den Akten zweifelsfrei hervor.
Die letzte Zeugin, Madlen G., arbeitet beim LKA Dresden. Sie berichtet, dass sie zunächst mit der Telefonüberwachung begonnen hätte. Später sei sie für die Auswertung der Telefone von Sten E. und Maximilian V. zuständig gewesen. Heute soll sie über Asservat 16, das Smartphone von Sten E. berichten. Sie habe die Daten auf einer Festplatte als UFED-Datei bekommen. Dann habe sie sich die Daten mit Fokus auf die Straftat Schloßteichinsel und die Planungen für den 3. Oktober ausgewertet. Letztere seien durch eine Kurzsichtung des Telegram-Chats bekannt gewesen. Die Telegram-Chats selbst seien nicht Bestandteil der Auswertung gewesen, sie seien extra in zwei PDF- und 79 Audiodateien übergeben wurden. Wie der Zugriff auf Telegram erfolgte, könne sie nicht erklären, so G., dafür sei ein Kollege zuständig gewesen.
Auf dem Telefon habe es eine „große Datenmenge“ gegeben, beispielsweise über 7000 Bilddateien von denen sie 249 als relevant eingestuft habe. Für das Vorgehen bei der Auswertung gäbe es keine Richtlinie: „Man überprüft die Daten, wo man denkt, die könnten etwas mit dem Sachverhalt zu tun haben“. Auf dem Telefon hätten sich diverse Lieder von Rechtsrock-Bands befunden, beispielsweise von Kategorie C und Lunikoff Verschwörung, aber „nichts was strafbar wäre“. Außerdem 15 Chats mit „Demo-Bezug“. Sie habe außerdem Kontaktdaten auf Kürzel mit „Heil“, „SGD“ oder „NS“ oder ähnlichem herausgesucht. Zu diesen wurden auch die Bestandsdaten bei den Mobilfunkanbietern abgefragt.
Die Nebenklagevertreterin will wissen, ob ein Ermittlungsverfahren gegen einen Bundespolizisten eingeleitet worden sei, weil aus den Chatverläufen zu schließen sei, dass ein Polizist Informationen weitergegeben habe. G. weiß jedoch nichts von einem Ermittlungsverfahren und verweist auf die Hauptsachbearbeiter. Der Zeugin wird einen anderen Chat mit Thomas L. vorgehalten. Die Ermittlerin erklärt, dass sie ihn vernommen habe. Er habe Kontakt zu Sten E. eingeräumt, will sich aber nicht an den Demonstrationen in Chemnitz beteiligt haben. Ob sie ihn nach seiner beruflichen Tätigkeit gefragt habe, will die Nebenklage wissen. Hier interveniert der Vorsitzende Richter: Das sei heute nicht Gegenstand der Befragung. Die Zeugin müsse noch ein anderes Mal vorgeladen werden. Die Verteidigung von Sven W. betont unterdessen bereits zum zweiten Mal, dass ihr Mandant dem Verfahren nicht mehr folgen könne. Der Prozesstag endet etwas unübersichtlich in einer Diskussion zwischen Vorsitzendem Richter und der Verteidigung von Christian K.