Heute sprechen zwei der Angeklagten. Erst versucht das ehemalige Mitglied der Mittweidaer Kameradschaft Sturm 34 Tom Wo. zu erklären, wie er in die Chatgruppe gelangt sei und was seine dort getätigten Aussagen zu bedeuten haben. Dann folgt eine widersprüchliche Einlassung des Angeklagten Sten E., der vom Geschehen im Chat kaum etwas mitbekommen haben will. Zuletzt wird ein Vernehmungsbeamter zum Verhör des Angeklagten Marcel Wa. befragt.
Der heutige Prozesstag beginnt mit der Einlassung des Angeklagten Tom Wo. In seiner Aussage will er sich auf die drei Nachrichten in dem Chat ‚Revolution Chemnitz‘ beziehen, die zur Begründung seines Haftbefehls aufgeführt wurden. Tom Wo. erklärt, dass er am 11. September 2018 wurde er von Christian K. zum Chat „Revolution Chemnitz“ hinzugefügt worden sei. Da er öfters in Chatgruppen eingeladen bzw. hinzugefügt werde, lese er häufig nicht alle Nachrichten durch. Daher, so seine Erklärung, könne er sich an den Einführungstext nicht erinnern. Er habe diesen maximal überflogen. Jetzt distanziere er sich vom Inhalt dieses Textes. Er habe nicht alle Kontakte in diesem Chat gekannt. Christopher Wei. kenne er seit seiner Jugend, sie hätten ähnliche Interessen, aber privat eher wenig miteinander zu tun. Maximilian V. wohne im selben Ort und sie hätten denselben Freundeskreis, privat aber wenig Kontakt. Christian K. habe er vor ca. drei Jahren über Marcel Wa. kennengelernt. Da es schon lange das Gerücht gegeben habe, dass Christian K. ein Spitzel ist, sei er misstrauisch ob des gemeinsamen Chats gewesen. Marcel Wa. sei ein ehemaliger Arbeitskollege, mit dem er seit seinem Firmenwechsel auch nur noch selten Kontakt habe. Er sei noch vor seiner Verhaftung eigenständig aus der Chatgruppe ausgetreten. Er sagt, dass er sich nicht erinnern könne, ob er mit anderen über den Chat gesprochen hat und dass er sich keine Gedanken gemacht habe, worum es dabei ging.
Anfangs habe er in dem Chat die Frage gestellt: „Wie offen kann man hier schreiben?“ Dies habe sich seiner Aussage nach beispielsweise auf Fahrten zu Demonstrationen bezogen, die im Vorfeld verboten worden wären. Christian K. habe ihn, ohne sein Wissen zum Administrator in dieser Gruppe gemacht. Er habe aber keine Kontakte hinzugefügt oder gelöscht. Zur zweiten relevanten Nachricht erklärt Tom Wo., dass sie einfach falsch verstanden habe. Er meine damit nicht, dass er Überfälle auf Linke geplant habe, sondern dass er vermute, dass es wieder vermehrt Überfälle von Linken in großen Gruppen geben werde. Für einen Tagsei er in dem Chat „Bündnis zur Bewegung“ gewesen, von dem er geglaubt habe, dass es um die gemeinsamen Anreisen zu Demonstrationen ginge. Er sei dort von selbst ausgestiegen. Dass diese Gruppe von einem früheren Freund Steve E,, der ebenfalls innerhalb bei „Sturm 34“ aktiv gewesen war, gegründet wurde, habe er nicht gewusst.
Seine Nachricht über Waffen sei „unüberlegt“ gewesen. Tom Wo. behauptet nun, dass er nie vor hatte, Waffen zu besorgen und auch gar nicht wisse, wie das gehe. Bei der Hausdurchsuchung wurde ein Schlagring beschlagnahmt und ein Luftgewehr. Das gehöre seinem Schwiegervater. Er sagt, dass ihm nicht klar gewesen sei, dass dies „so schlimm“ war. Tom Wo. habe sich nie als Mitglied einer terroristischen Vereinigung gesehen. „Waffen und scharfe Sachen kann ich machen“, habe er geschrieben, um sich wichtig zu tun und die anderen zu beeindrucken. Er habe sich nie wirklich darum bemüht und es sei nicht ernst gemeint gewesen, was seiner Meinung nach alle wissen würden, die ihn kennen.
Von dem „Probelauf“ am Schloßteich habe er nichts gewusst. Er sei nicht beteiligt gewesen. Er habe Tommy F. im Nachhinein getroffen und auf Nachfrage nur herausgefunden, dass es um eine Körperverletzung gegangen sei. Im Chat habe er zu diesem Termin gepostet, dass er „für alles zu haben“ sei und, dass ihm „kein Ding zu weit geht.“ Tom Wo. meint das wäre eine zusammen gesponnene Reaktion auf Christian K.s Beschwerde, dass nichts passiere. Über den dritten Oktober wisse er nichts, an dem Datum wäre er so oder so auf Montage unterwegs gewesen. Weiterhin sagt er, dass er sich seit einiger Zeit versuche aus der Szene herauszuhalten. Seine Familie sei ihm wichtiger. Er sei in der Vergangenheit häufiger „von Ausländern bedrängt“ worden. Es sei aber nie etwas Gravierendes passiert.
Tom Wo. geht davon aus, dass sich Marcel Wa. und Christian K. besser kennen würden, da Christian K. häufig dabei gewesen sei, wenn er sich mit Marcel Wa. getroffen habe. Er kenne Michael W. aus seiner „Sturm 34“-Zeit. Die beiden hätten hin und wieder Kontakt. Tom Wo. selbst wurde 2006 bei dem Verfahren gegen „Sturm 34“ als Rädelsführer verurteilt und saß bis 2008 in Haft. Er sehe sich damals wie heute aber nicht in einer führenden Rolle. Seine zwei älteren Brüder seien ebenfalls in der Szene und hätten auch diverse Kontakte zu „Sturm 34“. Sebastian Wo. beispielsweise wurde ebenfalls in diesem Verfahren verurteilt. Er wisse nicht, woher die Gerüchte um Christian K.s Spitzelaktivitäten stammen. Tom Wo. habe selber einen V-Mann bei Sturm 34 erlebt und sei, wie viele in seinem Freundeskreis, vor und während seiner Gefängnisstrafe mehrmals von Staatsschutz und Polizei angesprochen worden, ob er ins Aussteigerprogramm wolle oder Aussagen über Bekannte und Freunde machen wolle. Er habe das immer abgelehnt: „Ich wusste auch gar nicht was ich denen erzählen soll.“
Tom Wo. entbindet den Gefängnispsychologen D. von seiner Schweigepflicht. Der habe ihn beinahe täglich getroffen. Er betont mehrmals, dass er sich von Gewalt distanziere und er glaube, dass D. dies untermauern könne.
Zwei Fragen der Nebenklage wurden vom Vorsitzenden abgelehnt, weil es keinen Tatvorwurf der Körperverletzung für Tom Wo. gäbe. Die Nebenklagevertreterin wollte nach seiner Beteiligung an den Überfällen in Leipzig-Connewitz am 11.01.2016 wissen und nach einer Antifa-Liste Mittweida fragen, die er sich habe schicken lassen. Die zweite Frage wurde später nochmal vom Gericht aufgegriffen. Tom Wo. erklärte, dass es sich um einen Gegenpart zu einer vorher erschienen Nazi-Liste gewesen sei, in der er namentlich mit Foto und Adresse aufgeführt gewesen sei.
Im Anschluss an diese Einlassung folgt die des Angeklagten Sten E., der ebenfalls von Christian K. in der Chat ‚Revolution Chemnitz‘ eingeladen worden sei. Er erklärt, dass er in dieser Gruppe nur Christian K., Marcel Wa. und Sven We. kenne, die anderen vier Kontakte jedoch nicht. Die drei kenne er aus Chemnitz und er habe sich auch privat mit ihnen zum Bier trinken, im Stadion und natürlich auf den Demonstrationen getroffen. Sten E. meint, er sei „nicht so der Leser“ und überfliege häufig die Nachrichten nur. Seine Aufgabe sei gewesen, weitere Leute, die Bock haben, in die Gruppe zu holen. Er habe aber außerhalb des Chats nicht darüber gesprochen und auch niemanden akquiriert. Die Aufgabe sei ihm zugeteilt worden, weil er sich anfangs damit aufgespielt habe, dass er so viele Leute kennt.
Am
14. September 2018 sei er mit Peter R. und einer weiteren Person, an
die er sich nicht genau erinnern könne, auf der Schloßteichinsel
gewesen. Zuerst hätten sie zwei Pärchen getroffen, die angesprochen
habe, ob sie Antifas seien. Als eine der männlichen Personen verneinte,
habe er ihm eine Ohrfeige gegeben. Er habe aber das Gefühl gehabt von
seinen Begleitern ausgelacht zu werden, was ihn zu einer weiteren
Ohrfeige veranlasste.Dann seien sie weitergegangen. Sie seien auf die
Jugendlichen getroffen, die einen Geburtstag feierten. Von Bürgerwehr
habe er nie gesprochen, die Feiernde habe er aber nach dem Ausweis
gefragt, weil sie noch sehr jung ausgesehen hätten. Eine kleine Gruppe
habe an einer Tischtennisplatte gestanden und weil er vermutete, dass
sie sich einen Joint drehen, sei er hingegangen und habe wieder nach
Ausweisen gefragt.
Als Christian K. mit einer Gruppe angerannt
gekommen sei, sei er dort mitgelaufen hin zu der Gruppe, die sie als
„Ausländer“ ausgemacht haben. Die hätten sie eingekreist. Körperliche
Auseinandersetzungen habe es nicht gegeben bzw. habe er keine gesehen.
Danach sei die Situation auch schon vorbei gewesen, weil die Polizei
gekommen sei. Von der Planung habe er nichts mitbekommen. Er wisse
nicht, ob die anderen etwas privat geplant hatten. Sie hätten vorher
gehört, dass sich eine größere Gruppe Antifas aus Hamburg ankündigt
habe, die auf diesem Gelände, das im linken Spektrum beliebt sei,
vermutet wurden. Er habe keine Handschuhe dabei und kann auch nicht mehr
zuordnen, wer welche hatte und wer nicht. In der Gruppe sei vorher
geschrieben worden, alle sollten welche mitbringen.
Sten E.
wurde mehrmals gefragt, wozu er denn Leute ‚ranholen‘ solle. Er
antwortete, dass er das nicht wisse. Er gibt an, dass er niemanden mit
reinziehen wolle. Er habe es gruselig gefunden, als es im Chat dann um
das Thema Waffen gegangen sei. Sten E. sagt, dass er auch viele
Nachrichten überlesen und nicht wirklich verstanden habe. Sein Kommentar
zum ‚Probelauf‘ sei gewesen: „Bin auch dabei.“ Er habe das geschrieben,
weil er nicht als „Lappen“ dastehen wollte. Sten E. habe sich aber auch
nicht vorstellen können, was passieren sollte und dachte, es gehe nur
um die Demonstrationen.
Mehrmals verweist das Gericht auf die
Widersprüchlichkeit seiner Aussage. Diese wird vorerst unterbrochen und
am folgenden Prozesstag fortgeführt.
Dann folgt die Befragung des KOK Thomas R., der an der Befragung von Marcel Wa. nach dem Vorfall auf der Schloßteichinsel beteiligt war. Er habe sich mit seinem Kollegen bei Befragung und Mitschrift abgewechselt. Er sagt aus, dass Marcel Wa. wegen seiner Verhaftung empört gewesen sei und alle Vorwürfe abgestritten habe. Nach der Vernehmung hätten sie sein Handy sicherstellen wollen und hätten Marcel Wa. mitgeteilt, dass er in Haft bleibe. Erst daraufhin habe der seine Anwältin sprechen wollen. Sie sei sofort kontaktiert worden. Der Beamte erklärt weiter, dass Marcel Wa. nach der unfreiwilligen Beschlagnahmung seines Handys freiwillig die dazugehörige PIN herausgegeben habe. Er könne sich nicht mehr erinnern, wie er die Nummer der Rechtsanwältin herausgesucht habe, ob diese aus dem Handy stamme bzw. wer das Handy bedient habe. Eine Verteidigerin stellt fest, dass sich R. an viele Dinge nicht mehr sicher erinnere, beispielsweise, dass er selbst das Telefonat mit ihr eingeleitet habe. Andererseits sei er sich bei den Abläufen mit dem Handy sicher und er kenne sogar noch die PIN („1488“). R. sagt, er habe mit dem zweiten Beamten über seine Befragung in der Verhandlung gesprochen, aber nur über den Ablauf und nicht über Details. Der Verteidiger Sprafke beantragt daraufhin die Vereidigung des Zeugen, dies wird aber auch nach Beanstandung und Gerichtsbeschluss abgelehnt.