Die Anwälte des Angeklagten Sven We. verlesen eine Einlassung. Darin wird ein widersprüchliches Bild entworfen. Einerseits soll Sven We. starker Alkoholiker sein, andererseits sei er bei seiner Ordner-Tätigkeit bei den Pro Chemnitz-Demonstrationen dafür verantwortlich gewesen, alkoholisierte Personen von den Versammlungen zu verweisen. Auch Sven We. reiht sich in die Reihe der Angeklagten ein, die vieles von dem, was sie in den Chats schrieben, nicht so gemeint haben wollen.
Die nächste Einlassung eines Angeklagten. Diesmal verhält sich Sven We. zu den Vorwürfen. Er habe mit seinen Anwälten etwas vorbereitet, was sein Verteidiger nun vorgeträgt. Zunächst geht es um die persönliche Entwicklung des Angeklagten. Der Anwalt erklärt, dass Sven We. in Chemnitz bei seinen Eltern aufgewachsen sei und wenig Zuneigung und viel Freiheit erfahren habe. Sven We. habe einen älteren Halbbruder und eine ältere Halbschwester. In der fünften Klasse sei eine Lese- Rechtschreibschwäche festgestellt worden und er habe sowohl Schule ohne Abschluss nach der achten Klasse verlassen und eine Ausbildung als Werkzeug/Maschinenspanner nicht beendet. Er arbeite nun in verschiedenen Bereichen über Leiharbeitsfirmen. Mit 15 hätten die Kontakte in die rechte Szene über Musik begonnen. Er beschreibe sich selbst als starken Alkoholiker, der auch über Wetttrinken sein fehlendes Selbstbewusstsein zu kompensieren versuche. Nach seiner 6-monatigen Haft habe er sofort wieder mit dem Trinken begonnen und als er wegen eines Streits mit seinem Vater zwischen 2014 und 2016 teils auf der Straße und teils bei Freunden gelebt habe, habe er begonnen auch Chrystal und Speed zu konsumieren. Seit 2017 sei er nach mehreren Versuchen clean und lebe mit seiner Verlobten und drei Kindern, zwei sind von ihm, zusammen.
Er habe große Erinnerungslücken auch mit Zuhilfenahme der Protokolle, gehe aber davon aus, dass seine ersten Aussagen stimmen. Christian K. kenne er aus der JVA, da hätten sie sich ein- bis zweimal wöchentlich gesehen. Nach der Haft hätten sie sich bis zum Beginn der Demonstrationen nur zufällig getroffen, hätten dann aber wieder regelmäßigeren Kontakt gehabt. Christan K. habe ihn dazu gedrängt Telegram zu installieren und ihn in den „Revolution Chemnitz“-Chat eingeladen. Sven We. habe gedacht, dabei gehe es um gemeinsame Anreisen zu Demonstrationen. Den Einleitungstext habe er versucht zu überfliegen, dann aber schnell aufgegeben, weil er nichts verstanden habe und sich schlecht konzentrieren könne. Er sei in vielen Chats gewesen und habe diese stumm geschalten, weil er durch Arbeit und Familie nur wenig Zeit dafür habe, aber regelmäßig informiert sein wollte.
Aus dieser Gruppe kannte er zusätzlich noch Sten E. aus der Lernförderschule, Marcel Wa aus dem Bekanntenkreis und Martin H. aus der Stadt. Um sich in dem Chat wichtig zu tun, habe er geschrieben, dass er Waffen besorgen könne, sich aber nie darum gekümmert. Er kenne niemanden der Waffen besorgen könne und habe mit niemanden über Waffen gesprochen. Er habe sich nur einmal für ein paar Tage von Michel S. eine SoftAir-Waffe ausgeliehen, weil sie auch gemeinsam hin und wieder in Tschechien bei Wettkämpfen mit solchen Waffen gewesen seien. Weil ihm dann, auch durch seine Verlobte, klar wurde, dass das mit Kindern im Haushalt keine so gute Idee sei, habe er sie schnell wieder zurück gegeben.
Ihm sei es wichtig zu den Demonstrationen Gesicht zu zeigen, da er Daniel Hillig auch aus der Berufsschule flüchtig gekannt habe. Sven We. fand es nicht gut, dass es nach den Demonstrationen zu Gewalt und Ausschreitungen gekommen sei, deshalb habe er sich auf Christian K.s Vorschlag hin, als Ordner gemeldet. Dafür sei er belehrt worden und musste für die Dauer der Demonstrationen seinen Ausweis abgeben. Die Ordner seien über Arthur Österle koordiniert worden und er sei dann telefonisch gefragt worden, ob er wieder dabei sein will. Sie hätten stark alkoholisierte Menschen und jene, die offen ihre rechte Gesinnung zeigen, verweisen oder an die Polizei überstellen sollen. Er habe drei oder vier Mal als Ordner an den Demonstrationen teilgenommen. Wegen dieser Tätigkeit habe er Quartz-Handschuhe dabei gehabt, die bei der Festnahme in seinen Taschen gewesen seien, weil er dachte, als Ordner dürfe man das. Er habe geglaubt, dass die anderen im Vorfeld Handschuhe und ähnliches versteckten, da sie diese nicht bei Kontrollen der Polizei abgeben wollten.
Am 14. September 2018 habe er nach der Demo noch eine Feierabendbier trinken wollen und sei dann wieder nach Hause. Er könne zum Schloßteich nichts sagen, weil er auch an dem Tag Ordner gewesen und bis zum Ende der Veranstaltung da geblieben sei. Er wisse auch nicht, wer wann von der Demo gegangen sei. Danach habe er telefonisch versucht Leute zu erreichen, die mit ihm noch ein Bier trinken. Wen, das wisse er nicht genau, wahrscheinlich Marcel Wa. Als er am Edeka gewesen sei, habe er festgestellt, dass dieser schon geschlossen war und ist mit irgendwelchen Leuten, die er dort getroffen habe in Richtung Schloßteich gegangen. Wieso, das wisse er nicht. Von vorigen Absprachen wisse er ebenfalls nichts. Dort habe er einen Tumult festgestellt und sei erst mal in Richtung Brücke gegangen, um zu schauen, was da los war. Als ihm dann Leute entgegengelaufen gekommen seien, die anscheinend vor etwas wegliefen, sei er einfach mitgelaufen. Dort habe die Polizei den Weg bereits versperrt und sie wurden festgehalten.
Sven We. habe gedacht, dass alle zusammen am 3. Oktober nach Berlin zur Demonstration fahren wollten und überlegte schon, sich dafür als Ordner zu melden. Er habe davon abgesejem, weil er am nächsten Tag arbeiten musste. Von anderen Plänen zu diesem Termin habe er nichts gewußt. In den Stammkneipen El Dorado und Klabautermann trafen sich die Leute, die die Ordnerstrukturen koordinierten. Über den Begriff ‚Probelauf‘ und was der bedeuten sollte, habe er sich keine Gedanken gemacht. Er habe gedacht, es ging um eine gemeinsame An- und Abreise zu Demonstrationen.
Entgegen seiner Chat-Aussage habe keinen Kontakt zu den Hells Angels und wollte sich auch damit nur wichtig machen. Dass er die Antifa-Liste weitergeleitet habe, tut ihm jetzt leid. Auch darüber habe er sich keine Gedanken gemacht. Generell tue ihm alles leid, was geschehen ist und er versuche bereits seit einiger Zeit in das Aussteigerprogramm zu kommen. Sven We. sagt, dass er mit der rechten Gesinnung nichts mehr zu tun haben möchte. Die Befragung zu seiner Stellungnahme wird auf den nächsten Prozesstag verschoben, weil Sven We. dafür nicht mehr in der Lage war.
Es geht weiter mit der Vernehmung der LKA-Beamtin Kristin F., die Sven We.s Handy ausgewertet hat. Dazu habe sie zwei Extraktionsberichte erstellt. Bei der ersten Extraktion habe es technische Schwierigkeiten gegeben und die Kontaktdaten hätte gefehlt. Diese seien nun im zweiten Bericht zu finden. In Audionachrichten habe sie festgestellt, dass Sven We. auch andere über den Chat „Revolution Chemnitz“ informiert habe. Sven We. habe im Tatzeitraum und unmittelbar davor am 14. September mehrfach mit Christian K. Kontakt aufgenommen. Außerdem habe er mit Marcel Wa. und Martin H. telefoniert. Über WhatsApp sei er zusätzlich noch in den Chats „Freie Kräfte Chemnitz“ und „Bündnis zur Bewegung“ vertreten gewesen. Weiterhin habe es zwei wichtige Einzelchats mit Christian K. und einen mit Martin H. (‚Martin88‘) gegeben.
Eine wichtige Nachricht sei von Christian K. an Sven We. gegangen: „Wir fahren ins Ausland, zwecks wumpeln“. Dahinter sei ein Spritzensymbol zu sehen gewesen. Ein Kollege der Beamtin habe ihr gesagt, dass diese Kombination von Wort und Symbol wahrscheinlich für Kalaschnikow stehe. In einem Chat habe Christian K. Sven We. gefragt, ob ein Zeitungsartikel, in dem die Rede davon war, dass es eine „Zusammenrottung von Linksradikalen und Immigranten“ gebe, so stimme. Sven We. habe das bejaht und Christian K. habe geantwortet, dass man sich in „kleinen Grüppchen“ organisieren müsse, für einen „Präventivschlag“. Dem Kontakt ‚R.‘ habe er indirekt nach dessen Interesse an der Telegram-Gruppe gefragt und ihm geschrieben, dass etwas großes vorbereitet werde.